Stein Nr. 0062

Die Geschichte zum Stein erzählen seine Enkel:

 

Unser Großvater Curt Noack war ein waschechter Brandiser. Er wurde am 3.8.1896 als Sohn der Eheleute Eduard und Marie Noack geb. Lange in Brandis geboren und in die hiesige Bürgerschule eingeschult, die er bis Ostern 1910 besuchte. Dann erfolgte eine vierjährige Lehrzeit in Leipzig, Querstr. 31 im Kommmissionsgeschäft von Eduard Schmidt. Er hatte dort die Gelegenheit, sich mit allen  Zweigen des Buchhandels einschließlich Buchführung und Rechnungswesen vertraut zu machen. Vier Jahrzehnte bis zu seinem frühen Tod am 8.12.1960 war er dann im bekannten Buchverlag S. Hirzel in Leipzig tätig, davon 30 Jahre lang als Auslieferungsleiter,  Bereich Medizin und Naturwissenschaften.

Datiert vom 5. Februar 1915 blieb uns das Bewerbungsschreiben unseres Großvaters beim Hirzel – Verlag erhalten. Noch heute begeistern uns Form, Stil und Ausdruck dieses Schreibens:

Curt Noack war in erster Ehe mit Johanna Noack, geb. Kynast verheiratet und lebte mit seiner Frau und den Kindern Joachim und Thea im Grundstück Brandis, Leipziger Str. 22. Im Alter von nur 36 Jahren verstarb Johanna Noack an einer schweren Krankheit und hinterließ dem Vater die minderjährigen Kinder (1936). Ende 1938 heiratete Opa Curt daraufhin Gertrud Hoppe. Sie wurde am 9.9.1904 geboren und stammte aus Sagan, Schlesien. Unsere Oma Trude ( so nannten wir sie ) versorgte Familie, Haus, Hof und Garten, während ihr Mann täglich zu seinem Hirzel – Verlag zur Arbeit fuhr. 

Nach dem Krieg, Ende 1945, stellte Curt Noack beim Landrat zu Grimma einen Antrag zur Genehmigung der Eröffnung einer Buchhandlung in Brandis. Schon am 22.  Januar 1946 (!) wurde die Erlaubnis dazu ausgestellt.

In einem Nebengebäude des Grundstücks Leipziger Str. 22 wurde nun in sehr einfacher Form (den Möglichkeiten der Nachkriegszeit entsprechend) ein Buchladen errichtet. Der holzverkleidete Raum wurde mit einem alten Eisenofen bestückt. Kisten und Regale wurden mit Papier und Tapete verkleidet, um die Bücher ordentlich präsentieren zu können. Neben der Außentür wurde eine Klingel installiert, damit sich die Kunden bei unserer Oma, die im Haus tätig war, melden konnten – geöffnet war das kleine Geschäft Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr. Man konnte dort neben Romanen und Kinderbüchern auch antiquarische Literatur erwerben oder be- stellen sowie Zeitschriften, Musikalien oder Kunstblätter beziehen.

Werbung für die neue Buchhandlung erfolgte durch Inserate in Zeitungen. Für die Brandiser Kundschaft wurde in einem kleinen Häuschen der Familie Jugel in einem Fenster ein Werbeplakat ausgehangen.

Das Häuschen der Jugels befand sich schräg gegenüber der Adlerapotheke in der Leipziger Straße vor dem alten Friedhof und wurde in den 60 – er Jahren abgerissen. 

Kommt man mit alten Brandisern ins Gespräch, können sich noch viele daran erinnern, nach dem Krieg bei Noacks Bücher eingekauft zu haben. Alte Rechnungen bezeugen, dass auch Studenten, Ärzte, Lehrer u. ä. gern bei Noacks Versandhandel nutzten.

Opa Curt besorgte die Bücher in Leipzig, schleppte sie mit dem Zug nach Brandis, verpackte und adressierte die bestellte Ware und brachte sie dann zum Postamt (für  Neubrandiser: es befand sich am Stadtpark, in Bahnhofsnähe). Und das alles ohne Auto, höchstens ein Fahrrad als Hilfsmittel.

Der Buchhandel war neben der Berufstätigkeit unseres Großvaters beim Hirzel – Verlag in Leipzig eine kleine zusätzliche Einnahmequelle in den schweren Nachkriegszeiten. Zur Buchhandlungszeit ist noch zu erwähnen, dass sich einmal im Jahr die Kollegen vom  Hirzel – Verlag bei Noacks in Brandis einfanden, um ein fröhliches Gartenfest zu feiern. Girlanden wurden über den Hof gespannt, große Kaffeetafeln mit vielen Torten waren vorbereitet, ein Akkordeonspieler sorgte   für Stimmung und beim Galgenkegeln wurde der Beste ermittelt.

 

Als Opa Curt im Alter von 64 Jahren plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, war das nicht nur für die Familie ein Schock. Die Beileidsbekundungen vom Hirzelverlag in einer Zeitungsannonce bzw. in persönlichen Briefen von Kollegen bringen zum Ausdruck, dass er ein sehr beliebter und geachteter Mitarbeiter war.

Gertrud Noack, unsere Oma, war zu dieser Zeit erst 56 Jahre alt. Sie konnte die Buchhandlung nicht weiter betreiben. Nachdem sie fast 15 Jahre durch ihren Mann Kenntnis von Buchhandel und Literatur erlangte, war es ein Glücksfall, dass ihr zu dieser Zeit die Stelle als Leiterin der Städtischen Bücherei Brandis angeboten wurde.

Die erste Brandiser Bücherei befand sich übrigens in der Bahnhofstraße, im jetzigen Haus Nr. 9, später erfolgte der Umzug in den Ratskeller. Bis zu ihrem 67. Lebensjahr war Oma Trude in der Stadtbücherei tätig und auch sie wird vielen älteren Brandisern noch im Gedächtnis sein. Damals gab es noch wenig Fernseher, keine Computer und die Kinder besaßen noch nicht soviel Spielzeug wie heute, sodass der Besuch der Leihbücherei gang und gebe war, zumal die Ausleihe damals noch kostenlos war.

Übrigens wurde Tochter Thea aus erster Ehe auch Buchhändlerin in Leipzig und Rathenow. Deren Söhne, die Enkel Andreas und Matthias, kamen sehr gern in den großen Ferien nach Brandis  und erzählen heute noch davon.

Die Brandiser Noack – Enkel lebten bis zum Erwachsenenalter mit Oma Trude (sie starb 1997) im kleinen Häuschen in der Leipziger Straße. Da wir ( fast ) ohne Fernseher aufwuchsen, lasen wir alle gern und viel und freuten uns über die wertvollen Bücher, die wir vor allem durch die kundige Buchhändler – Tante erhielten. Noch heute sind uns gute Bücher heilig. Wenn es ein Buch – oder Lese – Gen gibt, dann denken wir, dass alle Enkel dieses von unseren „Buchhändlerahnen“ geerbt haben.