Stein Nr. 0046

Die Geschichte zum Stein erzählen die Kinder des Ehepaares Müller:

 

Familie Heinz und Christa Müller zogen 1965 mit ihren drei Kindern von Trebsen nach Brandis und erwarben in der Hauptstraße 20 das Bäckereianwesen der Familie Wiegner, um einen eignen, selbständigen Handwerksbetrieb aufzubauen.

Im Oktober eröffneten sie ihren Familienbetrieb „Bäckerei Müller“ und trugen fortan zur Versorgung der Brandiser mit Brot und Brötchen sowie vielerlei festlichem Backwerk bei. Von den einst sieben Brandiser Bäckereien waren zu dieser Zeit nur noch vier übrig geblieben.

Um drei Uhr in der Nacht begann das tägliche Handwerk. Bereits früh morgens ab fünf Uhr stand für die Frühaufsteher die Hofpforte für den Erwerb der ersten frischen Brötchen zu 5 Pfennig das Stück in einem Selbstbedienungskorb mit einer Kasse des Vertrauens offen. Oft schauten Schulkinder nach dem Unterricht in die Backstube hinein, um sich an den bereit liegenden Kuchenrändern zu erfreuen.

An Festtagen konnten die Brandiser ihre meist aus „Bück-Dich-Beständen“ oder Westpaketen stammenden Südfrüchtekonserven in die Bäckerei bringen, um sich leckere Fruchttorten auf Wiener Böden zaubern zu lassen. Zur Weihnachtszeit wurden die privaten Teigzutaten der Kunden in der Bäckerei zu duftenden Weihnachtsstollen verbacken. Sogar „grünes Tomatenzitronat“ wurde fachmännisch verarbeitet. Unvergessen sind die Splitterhörnchen mit selbstgemachter Marmelade, die gedrehten Rosinenschnecken und – kämmchen nach Müllerscher Backart. Das Mischbrot kostete 78, das Schwarzbrot 51 und der Pfannkuchen 17 Pfennige.

Bäckermeister Müller war auch als Lehrausbilder tätig und übernahm seine Lehrlinge stets als Gesellen selbst. Nach verrichtetem Tagwerk kam es schon mal vor, dass der Meister mit einer Zigarre im Mundwinkel und seine Gesellen in der Backstube saßen und bis zum Durchbacken der letzten Brotbefüllung einen zünftigen Skat droschen. Die Meisterin sorgte derweil, insofern sie nicht Früchte aus dem eigenen Obstgarten einweckte, für die gemeinsame Mittagstafel für die gesamte Belegschaft. Als begnadetete Handarbeitskünstlerin knappste sie sich sogar die Zeit ab, um das Tapet zu sticken, das heute noch den Altar der Brandiser Kirche ziert.

Als der Bäckermeister einmal die ABI (Arbeiter- und Bauerninspektion) – Kontrolleure in der Hauptarbeitszeit warten ließ, bis die Arbeit getan war, musste er sich wegen Missachtung der Staatsorgane vor dem Rat des Kreises verantworten. Dies bekam er später zu spüren. Dass das Handwerk in der DDR nicht immer den sprich-wörtlichen goldenen Boden hatte, widerfuhr ihm bei der Aufgabe seines Back-betriebes 1984. Die Staatsorgane setzten trotz vieler Modernisierungmaßnahmen einen niedrigen Immobilienwert fest und hielten ihre vertragliche Verpflichtung nicht ein, der Handwerksfamilie den ersatzweisen Erwerb eines gleichwertigen Häuschens als Altersruhesitz zu ermöglichen. Familie Müller übergab den Bäckereibetrieb an Familie Kablitz in der Zuversicht, dass eine uralte Handwerkstradition fortgesetzt und ihr Kundenstamm in gute Hände kommen wird. Anlässlich des 85. Geburtstags der „Bäckermeisterin Christa“ stifteten ihre Kinder Ingrid Bab, Christian Müller und Waltraud Mieszkalski diesen Stein zu Ehren des Bäckerhandwerkes und zur Erinnerung an das arbeitsreiche Leben von Heinz und Christa Mülller.